Kleine Schriftstilkunde

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Schriften

Die Beschäftigung mit Schriften entstand bei mir durch das Bedürfnis, akademische und andere Texte in ansprechender Erscheinung anzubieten. Ergonomie der Lektüre und Ästhetik spielen dabei zusammen. Neben meiner technischen Beschäftigung mit PostScript-Fonts habe ich mich natürlich bald mit den verschiedenen historischen und modernen Schriftstilen beschäftigt, denn ein guter Überblick erleichtert die Auswahl und die Beurteilung der Eignung von Schriften für bestimmte Zwecke.
Ich stelle eine Zusammenfassung meiner Recherchen hier vor, mit Überblick über Schriftstile, Darstellung besonderer Schriftvarianten, und einer Literaturempfehlung.
Endlich nahm ich mir einmal die Zeit, diese Seite (ehemals bei der FU Berlin) etwas moderner zu präsentieren und die Bilder in zeitgemäßer Qualität zu reproduzieren.
Es gibt jetzt auch eine FAQ und eine Seite mit Links.
Gern nehme ich auch Feedback entgegen.


Einteilung der Schriftstile

Es gibt unterschiedliche Systematiken zum Klassifizieren von Schriften. Sinnvoll scheint ein historischer Ansatz zu sein, auch wenn moderne Designs dabei etwas schwierig einzusortieren sind. Grenzfälle gibt es aber bei jeder Systematik.

Antike

Die Römer verwendeten große Buchstaben (Versalien) in der Art in Stein gemeißelter Zeichen.

Uncial

Mittelalterliche Minuskelschrift, nur aus "Kleinbuchstaben" bestehend.

Gebrochene Schriften

Aus den italienischen Kanzleischriften entstandene Buchstaben mit kantigen, teils verzweigten Formen und Linien.
Als Druckbuchstaben fand die Schrift von Gutenberg ihre Verbreitung.



Aus den schwarzen Lettern entwickelten sich zwei stilistische Gruppen, Textur-Schriften (rechts) und - vor Allem in Deutschland - Fraktur-Schriften (unten) mit geschwungeneren Formen.

Antiqua

Die Wiederaufnahme der antiken (d.h. römischen) Grundformen und ihre Kombination mit dazu passenden Kleinbuchstaben.

Renaissance-Antiqua

Erinnert in den Grundformen teils an die Zwanglosigkeit handgeschriebener Buchstaben, z.B. sind die Rundungen (etwa das kleine "o") meist nach links geneigt. Serifen sind der damaligen Drucktechnik entsprechend mit einer flachen Rundung angesetzt und enden relativ breit.

Bekannte Vertreter:

  • Garamond mit vielen Varianten und Nachempfindungen,
  • Palatino,
  • Goudy Old Style,
  • Century Old Style,
  • Berkeley Old Style.

    Besonders beliebt ist die Garamond, deren unauffällige Ästhetik sie bei bester Lesbarkeit universell einsetzbar macht. (Mit Ausnahme der ITC-Garamond, die etwas dick aufträgt.)



  • Barock-Antiqua

    Strenge, symmetrische Formen. Kreisförmig angesetzte Serifen, die spitz auslaufen.

    Bekannte Vertreter:

  • Times,
  • Baskerville,
  • Caslon.



  • Klassizistische Antiqua

    Auffälliger Kontrast zwischen gleichmäßig dicken senkrechten Strichen und haarfeinen waagerechten Strichen. Auch die Serifen sind haarfein und setzen meist rechtwinklig an (entsprechend der Kupferstichtechnik).

    Bekanntester Vertreter:

  • Bodoni, in letzter Zeit wieder sehr populär; hat viele Varianten.



    Weiterer prägnanter Vertreter:

  • Walbaum



  • Serifenlose Antiqua

    Grotesk

    Das Weglassen der klassischen Serifen und die Stilisierung der Buchstabenformen in einem mehr technischen Schriftverständnis führte Ende des 19. Jahrhunderts zu Schriften wie
  • Helvetica (kein Bild, jeder kennt die Schrift ohne Eigenschaften)
  • und die noch einigermaßen erträgliche Univers.



  • Humanistisch

    Unter dieser Bezeichnung laufen Schriften, die serifenlos sind, aber durch Anlehnung ihrer Formen an die älteren Antiqua-Formen sowie zum Teil Variationen ihrer Strichstärken wieder den menschlichen Lesegewohnheiten zuträglich gemacht wurden.

    Zu erwähnen sind

  • Gill Sans,
  • Lucida Sans,
  • die berühmte Optima, deren Feinheiten sich nur bei guter Druckqualität bemerkbar machen,
  • die moderne Rotis SansSerif,
  • die Frutiger,
  • die Präsentationsschrift Formata,
  • die auffällige AntiqueOlive.



  • Geometrisch

    In konsequenter Weiterführung des Grotesk-Gedankens wurden Schriften entworfen, deren Formen nur noch von simplen geometrischen Formen abgeleitet sind.

    Hierzu gehört die

  • AvantGarde, die nur aus Kreisen und Geraden besteht,
  • aber auch die durchaus ansprechende Futura.


  • Slab-Serif

    Gleichmäßige auffällig breite Serifen sind das Designmerkmal dieser Schriften.

    Vertreter:

  • Glypha
  • Memphis
  • Rockwell
  • American Typewriter



  • Zeitgenösische Antiqua-Schriften

    Wie in anderen Stilgebieten (Architektur, Musik) hat auch bei den Schriften die Vielfalt und Kreativität zugenommen.

    klassische Nachempfindungen

    Manche neuere Entwürfe wie Palatino und Times lassen sich eindeutig den historischen Stilen zuordnen (Renaissance bzw. Barock), bei anderen fällt das schwerer.
    Die Times New Roman (kurz Times) ist ein barocker Entwurf von ca. 1930 mit der Maßgabe, dass möglichst viel Text auf die Seiten der Zeitung Times passen sollte. Das erklärt zum Teil ihre mäßige Lesbarkeit.

    Schriftfamilien

    Einige Schriftentwerfer haben Gruppen von Schriftfamilien kreiert, die verschiedenen Grundstilen zugehören, aber ansonsten stilistisch kompatibel sind:
  • Stone von Sumner Stone mit einer Serifen-, einer serifenlosen und einer informellen Schrift;
  • Rotis von Otl Aicher mit einer Serifenschrift, einer serifenlosen und zwei Zwischenformen.


  • Über moderne Antiqua-Entwürfe hinaus gibt es heute auch eine Vielzahl von besonderen Schriften, die für bestimmte Zwecke einsetzbar sind:

    Handschriften

  • Handschriftliche Antiqua, handgeschriebene Schrift mit Antiqua-Buchstabenformen

  • nachempfundene oder gescannte Schreibschriften

  • die alte deutsche Schreibschrift Sütterlin


  • Designschriften

  • Headline- und Plakat-Schriften als Blickfänger

  • Dekorationsschriften



  • Schriftschnitte

    Zu einer Schriftfamilie gehören üblicherweise mehrere sogenannte Schnitte, um verschiedenartigen Text voneinander abheben zu können. Hierunter zählen insbesondere verschieden fette Varianten, kursive mit im allgemeinen abweichendem Design, und variierte Breiten (z.B. Helvetica Narrow als rein geometrisch verengte Variante, dagegen Helvetica Condensed und Helvetica Compressed als verschiedene schmaler designte Varianten).

    Zu den besonderen Schriftschnitten gehören auch die Kapitälchen und Minuskelziffern:
    Kapitälchen werden insbesondere gerne für Literaturangaben gebraucht.

    Man hüte sich davor, einfach Großbuchstaben einer kleineren Punktgröße zu nehmen und für Kapitälchen auszugeben! Diese typografische Sünde rächt sich optisch, da die Strichstärken im Verhältnis nicht stimmen und unpassend auffallen, wie ein Vergleich zwischen echten und falschen Kapitälchen zeigt.

    Für manche Schriften gibt es noch speziellere Varianten:
  • Titling-Schnitte für große Anfangsbuchstaben oder Überschriften, die etwas dünner sind, weil eine simple Skalierung der normalen Formen in große Punktgrößen häufig zu dick geraten würde



  • Swash-Zeichen: alternative Zeichen mit angebrachten Schnörkeln, die früher nach Bedarf für den Zeilen-Randausgleich eingesetzt wurden, aber auch einfach zur Verschönerung eines Textes dienen können (eher für poetische Texte geeignet)


  • "Expert"-Zeichensätze mit Zeichenvariationen, die im normalen Zeichensatz nicht enthalten sind, wie kleine hochgestellte Buchstaben zur Bildung bestimmter Abkürzungen im Französischen und Spanischen u. dgl.

  • Literaturempfehlung

    Joachim Weichert: Druckschriften. Bruckmann, München 1991 (Novum Praxis).


    Häufige Fragen

    sind in der
    FAQ zusammengestellt.

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